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11.08.2020

„Jeden so behandeln, wie man selbst behandelt werden möchte“

„Respekt Coaches“ am Berufsbildungszentrum in Neunkirchen

Artikelbild Weil Präsenzangebote während Corona nicht ohne Weiteres möglich waren, hat Respekt Coach Melanie Franz (Mitte) kurzerhand ein Projekt im Aller-Welts-Garten organisiert. 
Artikelbild Bei einer Stolpersteine-Aktion polierten die Jugendlichen die Erinnerungsstücke nicht nur, sondern beschäftigten sich auch mit den Biografien der NS-Opfer. 

Melanie Franz ist sozusagen eine Frau der ersten Stunde. Denn mit dem Start des bundesweiten Präventionsprogramms „Respekt Coaches“ im Jahr 2018 nahm auch sie ihre Arbeit an den beiden Standorten des technisch-gewerblichen und sozialpflegerischen Berufsbildungszentrums in der saarländischen Kreisstadt Neunkirchen auf. „Ziel ist es, mit Projekten und Workshops das Klassenklima zu verbessern, aber auch Respekt und Toleranz sowie interkulturelle und interreligiöse Kompetenzen zu vermitteln“, berichtet Franz, die eine von zwei Respekt-Coaches des Diakonischen Werks Saar ist und damit zu den 14 Respekt Coaches an neun Schulstandorten unter dem Dach der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe gehört. Ihre Aufgabe ist es, Gruppenangebote in Kooperation mit externen Netzwerkpartnern, etwa aus der politischen Bildung, zu organisieren und diese zu begleiten. „Zum Teil leite ich sie auch selbst. Für manches braucht es aber Expertinnen und Experten.“

Stolperstein-Aktion und demokratische Teilhabe

Diese Angebote sind vielfältig. So setzten sich Schülerinnen und Schüler im Schuljahr 2019/20 zum Beispiel bei einer Stolperstein-Aktion mit Biografien von Opfern des Nationalsozialismus auseinander. Zusammen mit einem Filmwissenschaftler lernten sie, einen Film zu drehen – vom Skript bis zum Schnitt. Es gab unter anderem ein interkulturelles Volleyballturnier, ein Kunstprojekt, einen interkulturellen Ausbildungstag sowie einen Ausflug in den Hochseilgarten „Fun Forest“ in Jägersburg mit Kooperationsspielen und Vertrauensübungen.

Hervorzuheben ist auch Franz‘ Einsatz für demokratische Teilhabe. So betreut sie mit den Vertrauenslehrkräften die Schülervertretung und ermöglicht den Jugendlichen damit eine aktive Partizipation am Schulleben. Außerdem begleitet sie die Mediatorinnen und Mediatoren. Das sind Schülerinnen und Schüler, die als eine Art Streitschlichter fungieren. Ganz im Sinne des „Respekt Coaches“-Mottos „Lass uns reden! Reden bringt Respekt“.

Für die Themensetzung bei den Angeboten ist die Sozialarbeiterin stets in regem Austausch mit Lehrkräften, Schulleitung und den Schülerinnen und Schülern. Das sei nötig, um zu wissen, wo es hakt. „Meistens kommen die Lehrkräfte mit Hinweisen auf mich zu.“ Dabei handele es sich häufig um alltägliche Probleme wie Ausgrenzung und Streitigkeiten. „Das Gute ist, dass diese oft schon da erkannt werden, wo sie entstehen.“ Franz bezeichnet diese Arbeitsweise als „lebensnah“. „Wir sind eng dran am Alltag der Jugendlichen und genau dort wollen wir sie auch erreichen.“

Artikelbild Erinnerungsarbeit ist für Respekt Coach Melanie Franz wichtig. Deshalb besucht sie regelmäßig mit Schülerinnen und Schülern das Konzentrationslager Natzweiler-Struthof. 

Hass, Mobbing und Angst vor dem Fremden

Ein Alltag, der heutzutage nicht selten von sozialen Medien geprägt ist – und das nicht nur positiv, wie Franz weiß. „Vieles, was dort passiert, bekommt man gar nicht mit. Etwa Hass, Hetze und Mobbing.“ Das führe zwangsläufig zu Konflikten. „Deshalb fördern wir Medienkompetenz, einen richtigen Umgang mit Hate Speech und Fake News auf Instagram und Co.“ Außerdem bearbeiteten Respekt Coaches politische und interkulturelle Themen wie Fremdenangst. „Die Jugendlichen beschäftigen Fragen wie: Warum hat jemand ein Kopftuch an und warum isst jemand kein Schwein?“, berichtet Franz von ihren Erfahrungen. Konflikte entstünden dann oft aus Unwissenheit. „Oder weil sie sich nicht trauen nachzufragen, aus Angst, dann als rechts eingestuft zu werden.“ Deshalb gelte es, einen Raum zu schaffen, um über so etwas offen sprechen zu können.

Im Normalfall hält sich Franz täglich an beiden Schulstandorten auf. Zu erkennen ist sie dort an ihrer Respekt-Coach-Jacke. „Dann weiß jeder direkt, wo ich rumrenne“, sagt sie und lacht. Wegen Corona ist sie vorerst aber nur an einem Standort. Ohnehin wirke sich die Pandemie auf ihre Arbeit aus. „Vor allem zu Beginn wusste ich nicht, wie ich mit den Jugendlichen arbeiten kann.“ Schließlich seien Präsenzangebote nicht möglich gewesen. „Es lief dann vieles über WhatsApp.“ Dabei sei es oft um die Pandemie, die Situation zu Hause, aber auch um Homeschooling gegangen.

Gartenaktion sorgt für Gemeinschaft während Corona

„Auf der Strecke geblieben ist aber die Gemeinschaft“, schildert Franz. Kurzerhand organisierte sie deshalb im Juni ein Projekt im Aller-Welts-Garten, der Begegnungsstätte des Hauses der Diakonie in Neunkirchen. Zusammen mit Schülerinnen und Schülern wurden Beete bepflanzt, ein Komposter sowie Loungemöbel gebaut. Die Vorbereitungen auf das neue Schuljahr liefen wegen Corona ebenfalls unkonkreter als sonst. „Ich habe aber natürlich schon Ideen im Kopf.“ So werde es wieder ein Filmprojekt geben. Und ein abgesagter Besuch des Konzentrationslagers Natzweiler-Struthof solle nachgeholt werden.

Bis zu 300 der mehr als 1700 Schülerinnen und Schüler erreicht die 42-Jährige pro Jahr mit ihren Projekten. Regelmäßig mittendrin bei den Angeboten war Schülerin Samira Edelmann. Ihr Fazit: „Ich fand alle Projekte ganz toll. Vor allem das Filmprojekt war aber super.“ Am meisten habe sie sich für Themen wie Ausgrenzung und Mobbing interessiert. „Das erleben wir im Schulalltag, das gibt es wirklich“, sagt die 16-Jährige. Die Projekte würden Früchte tragen. „Man unterhält sich jetzt eher über solche Themen.“ Zudem seien klassenübergreifend neue Freundschaften entstanden. „Ich habe viel gelernt und mich persönlich weiterentwickelt, auch durch den Kontakt zu Geflüchteten“, sagt Edelmann, die nun eine Ausbildung beginnt.

„Programm leistet wichtigen Beitrag zur Werteerziehung“

Dieses Feedback ist für Franz ein Beleg dafür, dass solche Programme unerlässlich sind. Nicht zuletzt, weil sie von externen Akteuren begleitet würden, die nicht der Schulstruktur untergeordnet seien. „Das vermittelt den Jugendlichen ein anderes Gefühl. Man kann den Blick weiten und persönlichere Themen besprechen“, meint Franz. Sie selbst fühlt sich nach eigenen Worten von allen Beteiligten sehr wertgeschätzt. „Ich werde als fester Bestandteil und Vertrauensperson wahrgenommen. Das erfüllt mich.“

Wie glücklich die Schule über das Programm ist, verdeutlicht Manuela Niedermeier, stellvertretende Schulleiterin des Berufsbildungszentrums in Neunkirchen: „Das Programm leistet einen wichtigen Beitrag zur Werteerziehung.“ Durch die Angebote werde die (Selbst-)Verantwortung gefördert, ein respektvoller Umgang erlernt sowie das Selbstbewusstsein und die Selbstwirksamkeit gestärkt. „Die Schülerinnen und Schülern werden mit unterschiedlichen Weltanschauungen konfrontiert und lernen diese zu verstehen.“ Das sei ein entscheidender Beitrag für mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt. Dazu kann laut Franz ohnehin jeder etwas beitragen. Die Formel sei einfach: „Man sollte jeden so behandeln, wie man selbst behandelt werden möchte. Viel mehr muss es nicht sein.“

Bundesprogramm „Respekt Coaches“

Das Bundesprogramm „Respekt Coaches“ zielt darauf ab, Werte wie Respekt und Toleranz bei jungen Menschen zu fördern sowie Vorurteile abzubauen. Zudem spielen Demokratiebildung und die Vermittlung von interkulturellen und interreligiösen Kompetenzen eine entscheidende Rolle. Dafür werden an deutschlandweit mehr als 190 Schulen Workshops und Projekte durchgeführt. Organisiert, begleitet und in Zusammenarbeit mit externen Partnern umgesetzt wird das Ganze von sogenannten „Respekt Coaches“. Diese wiederum sind bei den Jugendmigrationsdiensten sozialer Träger wie der Diakonie angesiedelt. Finanziert und gefördert wird das Bundesprogramm durch das Bildungsministerium. Den Schulen, Schülerinnen und Schülern entstehen keine Kosten.