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20.06.2018

Genossenschaften geben Heimat und Sicherheit

Evangelischer Raiffeisenkongress

Artikelbild Idee mit Zukunftspotenzial: Raiffeisen und Genossenschaften waren Thema des Kongresses in Bonn. 
Mit dem Aufruf an Kirche und Gesellschaft, Menschen über Genossenschaften zu verbinden, ist ein zweitägiger internationaler evangelischer Raiffeisenkongress in Bonn zu Ende gegangen. Dr. Frank Vogelsang, Direktor der Evangelischen Akademie im Rheinland: „Kirchen haben Ressourcen, um die Genossenschaftsidee neu zu beleben."

Diese zeige neue Kraft angesichts der Krisen des kapitalistischen Wirtschaftens, so Vogelsang zum Abschluss des Kongresses, der gemeinsam von Evangelischen Akademie im Rheinland, dem Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD, dem Seminar für Genossenschaftswesen der Universität Köln und der Stiftung Sozialer Protestantismus veranstaltet wurde.

Der Leiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD, Prof. Dr. Gerhard Wegner, sprach von einem neuen Interesse an Genossenschaften: „Angesichts der Entfremdung fördern Genossenschaften des Heimatgefühl der Menschen. In diesem Feld sind neue Bedürfnisse in Dörfern und Stadtteilen gewachsen. Da greifen Genossenschaften in vielen Bereichen.“

Er forderte Kirchengemeinden auf, sich stärker in Genossenschaftsformen zu organisieren. Bisher wählten sie eher die Form einer Stiftung. Doch Genossenschaften böten mehr Möglichkeiten, sich zu beteiligen.

Gegenseitig Kredit geben

Der Kongress würdigte einen der Väter der Genossenschaftsidee, den vor 200 Jahren geborenen Bürgermeister des Westerwalddorfes Weyerbusch, Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Der überzeugte evangelische Christ gründete während einer Hungersnot einen der ersten Selbsthilfevereine für Bauern, die sich gegenseitig Kredit gaben.

Daraus erwuchs die Idee des Genossenschaftswesens und verband sich mit seinem Namen. Seine Idee der Selbstorganisation aufgrund der Mitgliedschaft statt etwa nach der Größe der Kapitalbeteiligung hat sich weltweit durchgesetzt.

Heute gibt es unter anderem Banken, Einkaufs-, Wohnungsbau- und Produktionsgenossenschaften. In Deutschland zählen sie insgesamt 22 Millionen Mitglieder, weltweit geht ihre Zahl in die Milliarden, wie es auf dem Kongress hieß.

Artikelbild Bleibende Aktualität: Präses Manfred Rekowski 

Zum Auftakt würdigte der rheinischen Präses Manfred Rekowski die bleibende Aktualität des Genossenschaftskonzeptes mit seiner Orientierung an der Mitgliedschaft. Es sei unmittelbar vom Interesse der Beteiligten geprägt: „Bei der Bankenkrise vor zehn Jahren waren die Genossenschaftsbanken nicht Teil des Problems, sondern der Lösung.“

Lange habe man ihnen Kleinteiligkeit und ihre Orientierung innerhalb Deutschlands vorgeworfen. Doch am Ende habe sich gerade darin ihre Solidität gezeigt, während andere mit ihren Spekulationen an internationalen Märkten gescheitert seien. Zudem habe Raiffeisen nicht auf Fürsorge gesetzt, sondern auf Solidarität: „Er kritisierte Almosen und forderte Recht.“ Raiffeisen habe vom Glauben aus gehandelt, aber Formen gefunden, die allen offenstanden.

Artikelbild Eröffnungsdiskussion beim Raiffeisen-Kongress 

Auch der Genossenschaftsexperte Paul Armbruster betonte die christliche Grundlage von Raiffeisens Ideen. Nach wie vor sei die Wertbindung für Genossenschaften prägend, nicht nur das Organisationsprinzip auf der Basis der Mitgliedschaft. Nach seiner Ansicht müssen sich Genossenschaften an die Globalisierung anpassen und am Markt durchsetzen.

Es gebe viele Bürgergenossenschaften, die sich etwa um den Betrieb eines Schwimmbades oder um alternative Energiegewinnung kümmerten. Sie erzeugten eine hohe Verbindung unter ihren Mitgliedern, weil diese die Ergebnisse ihres Handelns sähen.

Die rheinland-pfälzische Wirtschafts-Staatssekretärin Daniela Schmitt sprach sich für maßvolle europäische Regeln für Genossenschaften aus. So habe sich etwa im Bankbereich das drei-Säulen-System bewährt mit Genossenschaften, Sparkassen und Großbanken. „Dieses Gut darf man nicht mit Regulation erdrücken“, sagte sie.

Der bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung tätige Wirtschaftswissenschaftler Gustav Horn betonte, die Wertbindung einer Genossenschaft müsse ausstrahlen, sonst drohe eine innere Aushöhlung des Konzeptes. Bei Einkaufsgenossenschaften wie Edeka und Rewe seien die Filialen Mitglieder. Doch auch sie seien aufgrund der genossenschaftlichen Organisation nach ihrem Wertebezug gefragt, etwa danach, wie sie mit ihren Mitarbeitern umgingen. Horn ist auch Vorsitzender der Kammer der EKD für Soziale Ordnung.

"Dem Zeitgeist eine andere Richtung zu geben“

Der Bochumer Sozialethiker Prof. Dr. Traugott Jähnichen wies auf das Motiv Raiffeisens hin, „dem Zeitgeist eine andere Richtung zu geben“. Raiffeisen kritisierte die „wilde Jagd nach Mehrerwerb und Mehrbesitz“, denn sie führe zu „anstößiger Verschwendung und Schlemmerei“.

Ihm sei es nie nur um wirtschaftliche Ziele gegangen, sondern um gesellschaftliche Teilhabe. Zudem habe er auf Freiwilligkeit und Selbstorganisation gesetzt. Diese erwiesen sich heute als demokratieförderndes Element. Zudem seien sie gegen übermäßige Gewinnziele kritisch und förderten eine moderate Geschäftspolitik ohne falsche Anreize.

Renaissance erwünscht

Der Sozialwissenschafter Prof. Dr. Frank Schulz-Nieswandt vom Seminar für Genossenschaftswesen an der Universität Köln rief dazu auf, „Reputationsarbeit“ für das Wirtschaften in Genossenschaften zu starten. Der Begriff klinge durch die autoritären Regime im früheren Ostblock abgewirtschaftet und brauche daher eine Renaissance.

Tatsächlich seien Genossenschaften aber weit verbreitet. So etwa arbeiteten die meisten Versicherungen genossenschaftlich. Genossenschaften böten zudem eine Möglichkeit, mit der Idee der gegenseitigen Unterstützung die „Grammatik des Sozialen“ zu stärken. Ihr Kernkonzept liege darin, „schöpferisch tätig zu sein mit Eigennutz“. Schließlich sorgten sie für Vielfalt bei Unternehmensformen und Betriebstypen. Das sichere mehr Beständigkeit im Kapitalismus.

Wie Schulz-Nieswandt meinte, würde eine stärkere Hervorhebung des Genossenschaftsgedankens auch die Soziallehre der Kirchen „ehrlicher antikapitalistisch machen“. Denn mit der Betonung des genossenschaftlichen Wirtschaftens würde die Kritik der Kirchen am „Kult des Konsumierens“ glaubwürdiger.