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23.04.2024

„Das, was an diesem Ort geschehen ist, soll niemals in Vergessenheit geraten“

Artikelbild Notfallseelsorgerin Bianca van der Heyden beim ökumenischen Gottesdienst auf Madeira zum fünften Jahrestags des Busunglücks vom 17. April 2019. 

DREI FRAGEN AN… Bianca van der Heyden, Landespfarrerin für Notfallseelsorge. Sie und ihr Team haben eine Gruppe von Menschen nach Madeira begleitet, die dort vor fünf Jahren von einem schweren Busunglück betroffen waren oder Angehörige dabei verloren haben. Bei dem Unfall am 17. April 2019 wurden 29 Menschen getötet und nahezu alle anderen Beteiligten verletzt – zum Teil sogar schwer. Die meisten der Touristinnen und Touristen stammten aus Nordrhein-Westfalen. Zum fünften Jahrestag wurde nun an der Unfallstelle eine Gedenktafel angebracht.

Frau van der Heyden, warum war es den Betroffenen und Angehörigen wichtig, mit der Gedenktafel ein sichtbares Zeichen der Erinnerung schaffen?
Bianca van der Heyden: Der Unfallort ist der Ort, an dem sich das Leben durch den plötzlichen Tod eines geliebten Menschen oder die eigene schwere Verletzung einschneidend verändert hat. Wenn man eine solche Katastrophe erlebt hat, wird das Leben fast immer in zwei Teile geteilt: in ein Leben „davor“ und ein Leben „danach“. Genau wie der Tag, an dem der Unfall geschehen ist, markiert auch der Unfallort einen entscheidenden Punkt im Leben, der in Erinnerung bleiben soll. Es ist ja der Ort, an dem der geliebte Mensch zuletzt lebendig gewesen ist, der Ort, den er oder sie zuletzt vor Augen hatte, als das Unglück geschah. Manche Angehörige und Betroffene möchten diesen Ort nicht mehr aufsuchen. Andere beschreiben, dass sie sich dort ihren verstorbenen Lieben besonders nahe fühlen und dort inneren Frieden finden. Das, was an diesem Ort geschehen ist, soll niemals in Vergessenheit geraten. Deshalb ist es vielen Angehörigen und Betroffenen, aber auch den Menschen, die auf Madeira leben, wichtig, eine Gedenktafel zu errichten, die an die Opfer des Unfalls erinnert.

[caption id="attachment_5723" align="aligncenter" width="650"] Die Gedenktafel erinnert an das Busunglück von 2019 – auf Deutsch und auf Portugiesisch.[/caption]

Was hat die Notfallseelsorge mit der Errichtung der Gedenktafel zu tun?
van der Heyden: Die STIFTUNG NOTFALLSEELSORGE begleitet seit 20 Jahren Betroffene nach großen Katastrophen und Unglücken über einen längeren Zeitraum. Wir machen die Erfahrung, dass es Menschen hilft, wenn sie sich mit anderen, die vom selben Unglück betroffen sind, austauschen können. Nach dem Busunglück auf Madeira im April 2019 hat uns die Koordinierungsgruppe NOAH (Nachsorge für Opfer und Angehörige der Bundesregierung) gebeten, die Nachsorge an den Angehörigen und Betroffenen weiterzuführen. Dieser Bitte sind wir gerne nachgekommen, auch weil wir wissen, dass es kaum Angebote dieser Art gibt. Von Anfang an stand in der Gruppe der Gedanke einer Gedenktafel im Raum, dann kam die Pandemie und die Pläne mussten ruhen. Wir haben eine kleine Arbeitsgruppe gebildet, die im Auftrag der Gesamtgruppe Kontakt zu den portugiesischen Behörden und der deutschen Botschaft in Lissabon aufgenommen hat, um die Idee vorzutragen. Dabei stellte sich heraus, dass das Anliegen, eine Gedenktafel zu errichten, auf beiden Seiten bestand. Der Unfall hat die Menschen auf Madeira und in ganz Portugal ja ebenfalls erschüttert und bewegt sie bis heute.

Was hat Sie bei den Gedenkfeierlichkeiten besonders berührt?
van der Heyden: Mich berührt der Mut der Angehörigen und Betroffenen, sich im Schutz der Gruppe der Reise zum Unfallort zu stellen. Mich berührt die Inschrift der Tafel, die von den Angehörigen und Betroffenen formuliert und von den Behörden vor Ort ins Portugiesische übersetzt wurde. Dass eine Strelitzie auf der Tafel zu sehen ist, hat sich die Gruppe gewünscht – weil sie die typische Blume der Insel ist und weil sie in der Symbolsprache der Blumen für Freiheit und Leben steht.
Mich berührt, dass im Gottesdienst, der unmittelbar vor der Enthüllung der Tafel stattfand, neben den Namen der 29 durch den Unfall getöteten Menschen auf den ausdrücklichen Wunsch der Angehörigen und Betroffenen auch der Name des Busfahrers genannt wurde, der im Gerichtsverfahren beschuldigt wurde und im vergangenen Jahr verstorben ist.
Und was mich unglaublich berührt hat und auch jetzt noch berührt, ist die Anteilnahme der Bevölkerung auf Madeira. Ob im Hotel oder bei den Gedenkfeierlichkeiten, immer und überall waren die Menschen unbeschreiblich mitfühlend und fürsorglich. Von der deutschen Botschafterin, die aus Lissabon angereist war, um bei der Gruppe zu sein und die Gedenktafel zu enthüllen, über den Honorarkonsul und die Bürgermeisterin von Santa Cruz, die evangelische Pfarrerin und die katholischen Geistlichen vor Ort, den Vertreter*innen der Polizei, der Feuerwehr und des Katastrophenschutzes bis hin zu den Bürgerinnen und Bürgern auf Madeira – ihre liebevolle Zuwendung hat die Angehörigen sicher durch den schweren Tag getragen. Am Ende stand neben der Trauer auch tiefe Dankbarkeit für die vielfältige mitmenschliche Unterstützung.