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18.10.2021

Mira

Kirche in WDR3 | 18.10.2021 | 00:00 Uhr

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Guten Morgen!

Ich möchte Ihnen heute von Mira erzählen: Mira stammt aus Bulgarien. Von einem Bekannten ihres Onkels bekommt sie ein Jobangebot. „Du kannst gutes Geld verdienen in der Gastronomie in Deutschland“, sagt er. Doch als Mira nach Deutschland kommt, wird ihr gesagt: „Du musst als Prostituierte arbeiten. Schließlich musst du das Geld für deine Reise und die Vermittlung bezahlen.“ Als Mira sich weigern will, wird ihr angedroht: „Wenn du nicht mitmachst, passiert deiner Tochter was.“ Miras Tochter ist in Bulgarien geblieben bei ihren Eltern. Aus Angst um ihr Kind wehrt sie sich nicht mehr. Was Mira nun Tag für Tag an Erniedrigung und Gewalt aushalten muss, dafür gibt es kaum Worte. Eine Chance, das Bordell zu verlassen oder ihre angeblichen Schulden zu bezahlen, hat sie nicht. Nach vielen Monaten entscheidet Mira sich zur Flucht. Sie wendet sich an die Polizei und bekommt Unterstützung durch eine Frauenberatungsstelle.

So wie Mira werden viele Frauen und Mädchen aus Ost- und Südeuropa Opfer von Menschenhandel. Mit falschen Versprechen werden sie nach Westeuropa gelockt. Sie verlassen ihre Heimatländer in der Hoffnung auf eine bessere Perspektive. Sie werden getäuscht, eingesperrt, erpresst, vergewaltigt, ausgebeutet und zur Prostitution gezwungen. Menschenhandel findet nicht nur weit entfernt statt, sondern mitten unter uns. Der heutige „Europäische Tag gegen Menschenhandel“ soll daran erinnern und auf das Leid der Betroffenen aufmerksam machen.

„Tu deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind“ (1), lese ich in der Bibel. Das Wort stammt aus dem Mund einer Frau. Sie gibt ihrem Sohn, dem König, diesen Rat mit auf den Weg. In der Ausübung seiner Herrschaft soll er für die sprechen, die das Leid stumm gemacht hat und die selbst keine Stimme haben. Er soll sich in seinem Regieren einsetzen für die Wehrlosen und Schwachen. Ich finde das bemerkenswert, was die Frau ihrem Sohn da mit auf den Weg gibt. Wie kommt sie dazu? Vielleicht hat sie Menschen vor Augen, die so stumm geworden sind. Und sie weiß zudem: Gott selbst macht sich zum Anwalt der Schwachen, erhebt seine Stimme für die, deren Würde mit Füßen getreten wird. Dem will sie folgen.

Auch Frauen wie Mira macht das, was sie erleben, oft stumm. Sie sind allein, von Familie und Freunden abgeschnitten, Drohungen und Angst ausgesetzt. Und auch wenn sie sich gar nicht selbst in diese Lage gebracht haben, gesellt sich häufig die Scham dazu.

„Tu deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind.“ Leihen wir Menschen wie Mira unsere Stimme und verschweigen nicht das Leid, das ihnen angetan wird.

Ein hoffnungsvolles Beispiel dafür ist für mich die Arbeit der Frauenberatungsstellen für Opfer von Menschenhandel. Oft werden sie von Kirche und Diakonie unterhalten. Nicht weit von mir gibt es eine solche Beratungsstelle. Sie trägt den Namen Nadeschda – Hoffnung. Sie ist erste Anlaufstelle für die Frauen. Sie sorgt für sichere Unterbringungsmöglichkeiten, begleitet die Betroffenen bei Gerichtsverfahren und nimmt Kontakt zu sicheren Stellen im Heimatland auf. So erfahren betroffene Frauen wie Mira konkrete Hilfe und Unterstützung.

Mira ist zu ihrem Kind nach Bulgarien zurückgekehrt. Sie wird weiter von einer Beratungsstelle unterstützt. Sie hat weiter Angst. Der Neuanfang ist schwer, aber er ist gemacht.

Es grüßt Sie Ihr Dietmar Arends, Landessuperintendent aus Detmold.

Quellen:

(1) Sprüche 31,8 Lutherbibel 2017.

Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze

https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/56522_WDR3520211018Arends.mp3