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11.05.2021

„Die Gefahr antisemitischer Anschläge ist in Deutschland mehr als real“

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VIER FRAGEN AN . . . Oberkirchenrätin Barbara Rudolph, Mitglied der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im Rheinland und Leiterin der Ökumene-Abteilung im Landeskirchenamt, zu den Raketenangriffen auf Israel, der neuen Welle der Gewalt und dem Brandanschlag auf das Düsseldorfer Mahnmal.

Frau Rudolph, die Situation in Jerusalem und im Gazastreifen eskaliert zum wiederholten Mal. Welche Informationen erhalten Sie von den ökumenischen Partnern in der Region?
Barbara Rudolph
: Die Evangelische Kirche im Rheinland hat Kontakte zur palästinensischen Kirche mit Sitz in Ost-Jerusalem und zu jüdischen Gesprächspartnern in Israel. Bischof Ibrahim Azar von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und im Heiligen Land hat schon am vergangenen Samstag seinen ökumenischen Partnern, also auch uns, seine tiefe Sorge über die Gewaltentwicklung in Jerusalem mitgeteilt. Der schon lange schwelende Streit um die Räumung von Häusern, die von arabischen Familien bewohnt werden, eskaliert zurzeit. Und unsere jüdischen Gesprächspartner sind entsetzt über die Gewaltbereitschaft palästinensischer Bürger und die Raketenangriffe aus Gaza. Ich selbst war einmal in Jerusalem, als Sirenenalarm plötzlich den Alltag unterbrach. Welche Ängste das auslöst, können wir uns hier in Deutschland kaum vorstellen.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu spricht schon von einem längeren Konflikt, der bevorstehe. Sehen Sie noch Möglichkeiten, der Gewaltspirale zu entkommen?
Rudolph:
Der Konflikt ist ja nicht neu und wird nicht von jetzt auf gleich zu lösen sein. Viele unserer Gesprächspartner in der Region hoffen auf die Vermittlerrolle der USA nach dem Regierungswechsel. Nun sind wir als Kirche keine politischen Akteure. Aber wir tun etwas, was große Resonanz findet: Wir haben in der letzten Zeit jährliche Begegnungen angeboten, an denen jüdische und palästinensische Gesprächspartnerinnen und -partner aus Deutschland, dem Heiligen Land und anderen Ländern teilgenommen haben. Auch für den November ist wieder eine solche Begegnungsreise nach Jerusalem geplant. Wir sind fest davon überzeugt, dass Gespräche miteinander zwar noch nicht den Konflikt lösen, aber das Verständnis füreinander wachsen lassen.

Die Angriffe treffen Israel in einer Phase der gescheiterten Regierungsbildung. Erschwert das Schritte zur Befriedung?
Rudolph: Sicher ist es ein bekanntes Phänomen, dass innenpolitische Probleme überdeckt werden durch einen Konflikt von außen. Das gilt aber nicht nur für Israel mit der schwierigen Regierungsbildung, sondern auch für die palästinensische Behörde in Gaza und in der Westbank. Die Aussetzung der palästinensischen Wahlen führt, vor allem bei jungen Palästinensern, zu viel Frust. Für uns als Kirche ist es wichtig, dass wir uns in dieser komplizierten Situation nicht einfach abwenden, sondern an der Seite der Menschen in der Region bleiben. Als Kirche bitten wir, wie es auch Bischof Azar tut, für alle Menschuen im Heiligen Land zu beten. Denn die Sehnsucht nach einem friedlichen Leben ohne Gewalt ist sehr groß.

Die Jüdische Gemeinde wertet in dem Zusammenhang die versuchte Sachbeschädigung am Synagogen-Mahnmal in Düsseldorf als Brandanschlag. Sehen Sie im Zuge der Eskalation in Israel die Gefahr weiterer antisemitischer Vorfälle bei uns in Deutschland?
Rudolph: Mich haben der Anschlag mitten in Düsseldorf auf das Mahnmal und das Verbrennen der Israelflaggen vor den Synagogen in Bonn und Münster erschüttert – wie viel mehr unsere jüdischen Gesprächspartner! Die Gefahr antisemitischer Anschläge ist in Deutschland mehr als real. Wenn Menschen die Situation in Israel und Palästina zum Anlass nehmen, in deutschen Städten Gewalttaten zu verüben, dann sind sie irregeleitet, aber hochgradig gefährlich. Immer wieder hören wir von unseren jüdischen Gesprächspartnern im Rheinland, dass sie als Deutsche für die Politik der israelischen Regierung verantwortlich gemacht werden. Für Düsseldorf und alle deutschen Städte gilt, was der palästinensische Bischof für Jerusalem bittet: Gott, lass diese Stadt zu einem Ort werden, an dem Juden, Christen und Moslems in Frieden miteinander leben können.